Koritnig S. / 1978                                                                     Textauszug

 

Über merkwürdige Calcit-Formen aus den Steinbrüchen bei Launsdorf und Pölling.

Von Sigmund KORITNIG, Göttingen 
(Mit 10 Abbildungen) Herrn Univ.-Prof. Dr. Heinz MEIXNER zur Vollendung seines 70. Lebensjahres gewidmet.

Durch Herrn Direktor GROSS, Passering, erhielt ich vor mehreren Jahren eine Reihe von Proben aus den Kalksteinbrüchen bei Launsdorf und bei Pölling. Diese Calcite zeigen einige interessante Besonderheiten, die hier näher untersucht werden.

In dem östlichsten von mehreren Steinbrüchen, direkt oberhalb der Ortschaft Launsdorf, fanden sich in Hohlräumen feinste haarförmige Gebilde (vgl. Abb. I), die röntgenographisch als Calcit bestätigt wurden. Solche filzartigen Bildungen sind lange bekannt und wurden seinerzeit schon von MOROZEWICZ (1907) als Calcit erkannt und wegen der merkwürdigen Ausbildungsart als Lublinit bezeichnet. Später glaubte LANG (1915a, 1915b), daß es sich bei solchem Material um eine neue, monokline Modifikation des Calciumcarbonats handelt. MIZGIER (1929) wies jedoch röntgenographisch nach, daß es sich um normalen, trigonalen Calcit handelt. Deshalb ist der Name "Lublinit" aus der modernen Mineralnomenklatur (vgl. STRUNZ, 1970) gestrichen worden.

Wegen der Feinheit der Härchen -sie sind in unserem Fall meistens um 0,01 mm dick, können aber bis 0,001 mm herabgehen, und etwa das 100bis 1000fache lang -sind solche feinen Gebilde selbstverständlich auch im Lichtmikroskop nur schwierig in ihrem Aufbau deutbar. So mußte das, was bisher über diese haarförmigen Calcit-Gebilde und deren kristallinen Aufbau bekannt wurde, mehr auf Vermutungen als auf echten Beobachtungen beruhen.

Um diese Lücke zu schließen, wurde mit dem Rasterelektronenmikroskop (REM) in bis zu fast 10.000-facher Vergrößerung der Launsdorfer "Lublinit" untersucht. Diese Bilder zeigen neue und interessante Details.

Abb. 1 gibt ein Übersichtsbild bei 220facher Vergrößerung. Abb. 2 zeigt daraus einen Ausschnitt (etwa Mitte von Abb. 1) bei 1200facher Vergrößerung. Wir sehen, daß die Fasern seilartig gewunden erscheinen. Abb. 3 stellt das Bild eines solchen "Haares" bei 6000facher Vergrößerung dar; wir sehen nun eine deutliche Skulpturierung der Oberfläche und erkennen einzelne Kristallumrisse, die alle parallel bis subparallel angeordnet sind. In Abb. 4 haben wir das Ende eines "Haares" bei 6300facher Vergrößerung, erkennen wieder Kristallumrisse und daß offensichtlich die oberste Spitze längs Rhomboederspaltflächen z. T. abgebrochen ist.

Sehr interessant ist nun die Orientierung der einzelnen Calcit-Kristallite innerhalb eines solchen "Haares". MOROZEWICZ (1907) hat schon festgestellt, daß solche "Haare" eine schiefe Auslöschung besitzen. Beobachtet man unsere Haare im Polarisationsmikroskop, so kann man dies nur bestätigen. Man erkennt dann weiter, daß die optische Achse immer parallel zu den "Seilwindungen" liegt, wobei die Auslöschung des ganzen Haares exakt und einheitlich wie bei einem Einkristall ist (vgl. Abb. 5). Das außerordentlich Merkwürdige ist nun, daß der Winkel der "schiefen Auslöschung" unverändert erhalten bleibt, auch wenn man ein solches Haar um seine Längsachse dreht bei einem normalen Einkristall dürfte das nicht der Fall sein. Das beobachtet man am Streupräparat wie auch am Drehtisch. Ein solches Verhalten ist nur erklärlich, wenn die kristallographische c-Achse der Calcit-Kristallite, wie sie in Abb. 3 bzw. Abb. 5 erkenntlich sind, immer parallel und tangential zur zylindrischen Oberfläche eines solchen Haares liegt. Die Richtung der c-Achsen der Kristallite schwankt bei den verschiedenen Haaren um etwa 20°, ist im selben Haar jedoch immer gleich angeordnet. In der Zeichnung der Abb. 5 sind die Lage der Kristallite und ihre optische Orientierung eingezeichnet. Die Kristallite liegen auf einer Prismenfläche auf, nach der sie tafelig und nach der c-Achse gestreckt entwickelt sind. Sie werden an den Längsseiten ebenfalls von Prismenflächen begrenzt, und ihre Spitzen sind auf der einen Seite durch die Rhomboederfläche und auf der gegenüberliegenden Seite durch die Kante der zwei gegenüberliegenden Rhomboederflächen gebildet. Um welches Rhomboeder (positives oder negatives) und welche Prismenflächen (I. oder II. Stellung) es sich dabei handelt, kann so nicht gesagt werden es zeigt jedoch, daß die Längsrichtung der "Haare", wie schon vermutet (PALACHE et al. 1951), parallel zur Rhomboederkante liegt.

Die meisten Haare zeigen eine schraubenförmige Anordnung der Kristallite; das ist beim Drehen dieser Haare deutlich sichtbar. Es gibt jedoch auch Haare, bei denen die Kristallite längs eines "elliptischen" Schnitts angeordnet sind. Das auf Abb. 2 rechts schräg aufwärtsstehende Haar mit Spitze ist ein solches. Dagegen ist das von rechts unten nach links oben verlaufende Haar schraubenförmig aufgebaut.

Bei allen diesen Erscheinungen handelt es sich um reine Wachstumsformen. Welches die Ursache für dieses merkwürdige Wachstum ist, kann leider nicht gesagt werden.

Bei dem nicht weit entfernten Vorkommen von Pölling, wo die Gurk obertriassische Kalke (Hauptdolomit) durchbricht, wurden in Klüften des stillgelegten Steinbruchs des Kalk- und Schotterwerkes Simon Rainer ebenfalls kleine, ungewöhnlich geformte Calcit-Kristalle bzw. -Aggregate gefunden. Es sind lattenförmige Kristalle in der Größenordnung von 0,25 mm Breite, 5 bis 6 mm Länge und 0,06 mm Dicke. Sie zeigen eine schräge Streifung und sind oft zu größeren Aggregaten angeordnet. Abb. 6 zeigt ein solches, sehr schwach (30fach) vergrößertes Bild eines Aggregates, das mit dem REM aufgenommen wurde. In Abb. 7 ist daraus ein Ausschnitt, etwas unterhalb der Mitte von Bild 6 gelegen, bei 150facher Vergrößerung dargestellt. Der geriefelte Aufbau und die hell aufleuchtenden Spaltflächen sind hier deutlich zu sehen. In Abb. 8 sind bei noch stärkerer Vergrößerung (200fach) die seitlichen Enden solcher "geriefelten Latten", wie sie in Abb. 7 etwa unten Mitte zu sehen sind, im Detail dargestellt. Die seitlichen Ränder der Riefelung dieser Latten sind in Abb. 8 (vgl. Mitte der Abb. 7) bei 950facher Vergrößerung abgebildet.

Untersucht man diese "Latten" polarisationsoptisch, so fallen gewisse Ähnlichkeiten in der Orientierung der "Subkristalle" zu den "Haaren" von Launsdorf auf. Die Latten löschen ebenfalls exakt aus, und die optischen Achsen der Calcite liegen genau parallel der Riefelung, das heißt schräg zur Längserstreckung der Latten (vgl. Abb. 10). Hier sind es aber immer exakt 45° zur Spaltrichtung des Rhomboeders (1011 ) bzw. 45° zur Längserstreckung der Latten. Die glatten, hell aufleuchtenden Flächen in Abb. 7 sind solche Spaltflächen nach (1011). Im Unterschied zum "Lublinit" ändert sich hier aber die Auslöschungsschiefe beim Drehen solcher Kristall-Latten um ihre Längsachse.

Die Riefelung der Latten geht etwa parallel zu Prismenflächen, wie aus den Winkeln im Schnitt mit der Spaltfläche in Abb. 7 und 8 ersichtlich ist. Es handelt sich wohl um das Prisma II. Stellung (1 1"20). Die Latten sind aus parallelen tafeligen "Subindividuen" (vgl. Abb. 8) nach dem Prisma I. Stellung (1010) aufgebaut. Die Zeichnung in Abb. 10 zeigt eine solche Latte schematisch im Durchlichtmikroskop. Die Latten bestehen aus exakt parallel angeordneten tafeligen Calcit-Kristallen, deren optische Achsen alle unter einem Winkel von 45° (theoretisch 44,6°) zur Spaltfläche liegen. Die gepunkteten Bänder parallel der Längserstreckung in der Zeichnung sollen Zonen dunkler Einschlüsse (organischer Natur?) anzeigen, die die "Latten" enthalten. Sie machen deutlich, daß die lattenförmigen Kristallaggregate von der Mitte aus nach beiden Seiten gleichmäßig wie ein Einkristall gewachsen sind und ein zonares Wachstum durch Veränderung der Mutterlösung darstellen. Die starken Ausbuchtungen der "Kristallenden" an den Rändern sind wohl erst durch Lösungsvorgänge entstanden. Sie hat die "Riefelung" herausgearbeitet und die tafeligen "Subindividuen", wie Abb. 9 bei 950facher Vergrößerung deutlich zeigt, stark gerundet. Auch hier ist die Ursache für dieses lattenförmige Wachstum der Calcit-Kristalle unbekannt.

Calcit ist das formenreichste Mineral. Mehrere hundert verschiedene Flächenarten und mehr als 1000 Kombinationen sind davon bekannt. Das, was bei unseren beiden Calcit-Vorkommen bemerkenswert ist, sind nicht neue Flächen oder deren Kombinationen, sondern ungewöhnliche gesetzmäßige Anordnung von Subindividuen oder scheinbaren Subindividuen zu einem Aggregat neuer Ordnung.

Beim "Lublinit" von Launsdorf können die optischen Erscheinungen nur gedeutet werden, wenn man annimmt, daß die winzigen nach einer Prismenfläche tafeligen Calcit-Subindividuen in ganz bestimmter Richtung tangentiallängs einer Rhomboederkantenachse angeordnet sind. Die Ursache dieser "Biegung" ist nicht bekannt, jedoch könnten ähnliche Gründe dafür verantwortlich sein, wie sie beim Dolomit die Ursache für die oft sehr stark sattelförmig gekrümmten Rhomboederflächen ist. Solche Krümmungen sind auch von Calciten, aber sehr viel seltener, bekannt.

Die lattenförmigen Calcit-Kristalle von Pölling kann man sich aus exakt aneinandergewachsenen parallelen "Subindividuen" aufgebaut vorstellen, wie die Abb. 7 und 8 es erscheinen lassen.

Das zonare Wachstum -vlg. Abb. 10 -legt jedoch die Vermutung nahe, daß die Calcit-Kristalle als richtige Latten gewachsen sind und erst durch die Lösungsvorgänge die Riefelung nach einer Prismenfläche . herauspräpariert wurde. Es wären also im Gegensatz zum "Lublinit" gar keine Aggregate! Trotzdem würde das lattenförmige Wachstum in Richtung senkrecht zur Spaltfläche noch merkwürdig genug bleiben.

Zu Dank bin ich verpflichtet: Herrn Direktor Walter GROSS aus Passering für das Untersuchungsmaterial und für Angaben über die Lage und Geologie der Fundstellen, Herrn Dr. H. ALBERTI und Herrn Dipl.-Geol. H. SCHOLZ von der Elektronenmikroskopischen Abteilung des Geolog.-Paläontolog. Instituts der Universität Göttingen für die Herstellung der Rasterelektronischen Aufnahmen, ohne die diese Untersuchungen nicht möglich gewesen wären.

LITERATUR:

LANG, Richard (1915a): Lublinit, die monokline Modifikation des Calciumcarbonats. Neues Jahrb. f. Min., Geol. u. Paläontologie, BB 38:121-184. 

-(1915b): Ist Lublinit eine neue monokline Modifikation des Calciumcarbonats? Cbl. f. Min., Geol. u. Paläontologie, Jahrg. 1915:298-305. 

MIZGIER, Sophie (1929): über die Struktur des Lublinits. Z. Krist. 70:160-162.

MOKOZEWICZ, J. (1907): Beiträge zur Kenntnis des kohlensauren Calciums (Kosmos, Lemberg 1907. 1.?:487-495). Ausführliches Referat in: Z. Krist. (1911),48:522 und 523.

PALACHE, Ch., BERMAN. H., & FRONDEL. Cl. (1951): The System of Mineralogy, Vol. II, 7'h Ed., J. Wiley & Sons Incorp. London.

STRUNZ, Hugo (1970): Mineralogische Tabellen. Akad. Verlo-Ges., Leipzig.

 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

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